Von Dr Samantha Hardy and Dr Judith Rafferty
Hinweis: Dieser Beitrag wurde von Judith Herrmann-Rafferty aus dem englischen Original übersetzt und leicht angepasst, damit er speziell auf HR und Führungskräfte zugeschnitten ist. Den ursprünglichen Artikel in englischer Sprache, der den Blick stärker auf die Arbeit von Mediator*innen richtet, gibt es hier.
Entschuldigungen können enorm kraftvoll sein. Ein aufrichtiges „Es tut mir leid“ kann während oder nach einem Konflikt Vertrauen im Team stärken, Würde zurückgeben und den Blick aller Beteiligten nach vorne öffnen. Doch oft warten Betroffene – manchmal lange – auf eine Entschuldigung, die nie kommt. Wenn Kolleg*innen oder Führungskräfte nicht bereit sind, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen, bleiben Spannungen oft bestehen, die Moral sinkt und die Zusammenarbeit leidet.
In diesem Beitrag beleuchten wir, warum Entschuldigungen im Arbeitsumfeld so bedeutsam sind, warum manche Menschen sie verweigern und was Führungskräfte oder HR tun können, wenn Entschuldigungen ausbleiben.
Warum Menschen eine Entschuldigung wünschen
Eine Entschuldigung erfüllt oft tiefere Bedürfnisse als nur gesprochene Worte:
- Anerkennung. Sie kann die Auswirkungen des Handelns der anderen Person anerkennen und Schmerz sowie Leiden validieren.
- Validierung. Sie kann bestätigen, dass das Geschehene „falsch“ war, und so ein Gefühl von Gerechtigkeit vermitteln.
- Wiedergewonnene Autonomie. Sie kann ein Gefühl von Kontrolle zurückgeben. Eine Entschuldigung kann Autonomie wiederherstellen, indem sie der empfangenden Person die Macht gibt, Vergebung anzunehmen, abzulehnen oder zurückzuhalten.
- Geteilte Werte. Sie kann gemeinsame Werte und Erwartungen an Verhalten bekräftigen. Eine Entschuldigung signalisiert einen erneuerten Konsens darüber, was künftig akzeptables Verhalten ist.
- Verbesserung des Klimas. Aufrichtige Entschuldigungen können zudem Wut reduzieren, Empathie fördern und die Bereitschaft zur Versöhnung steigern – besonders in fortbestehenden Beziehungen wie in Familien, am Arbeitsplatz oder in Gemeinschaften.
Warum manche Meschen sich nicht entschuldigen wollen
Die Psychologie hinter der Verweigerung ist vielschichtig. Auch wenn der Schaden offensichtlich scheint, können folgende Gründe eine Rolle spielen:
- Gefühl, nichts falsch gemacht zu haben. Viele setzen eine Entschuldigung mit einem Schuldeingeständnis gleich. Wer überzeugt ist, richtig gehandelt zu haben, empfindet eine Entschuldigung schnell als überzogen oder ungerechtfertigt.
- Sorge vor Konsequenzen: Manche fürchten, dass eine Entschuldigung als Schuldeingeständnis ausgelegt wird und sie damit Kritik, Sanktionen oder sogar rechtliche Haftung riskieren.
- Schutz des Selbstwertgefühls. Sich zu entschuldigen kann als Gesichtsverlust empfunden werden. Für Menschen mit fragiler Selbstachtung ist das psychologische Unbehagen zu groß. Karina Schumann weist auf die „wahrgenommene Bedrohung des Selbstbildes“ als ein starkes Hindernis hin.
- Macht und Kontrolle. Okimoto, Wenzel, and Hedrick (2013) fanden heraus, dass das Verweigern einer Entschuldigung das Selbstwertgefühl steigern kann, da es Macht und Integrität signalisiert.
- Geringes Interesse an der Beziehung. Wer die Beziehung nicht genug wertschätzt, wird die Mühe einer Entschuldigung meiden. Geringe Empathie oder extremes Eigeninteresse verstärken das.
- Zweifel an der Wirksamkeit. Manche glauben nicht, dass eine Entschuldigung helfen wird, oder erwarten Ablehnung.
- Verteidigende Fragilität als vermeintliche Stärke. Wie Psychologe Guy Winch erklärt, erscheint Unfähigkeit zur Entschuldigung oft als Härte, ist aber Ausdruck tiefer Verletzlichkeit.
- Schon mehrfach entschuldigt. Manche verweigern eine weitere Entschuldigung, weil sie sich bereits entschuldigt haben – ohne erkennbare Wirkung.
- Vermeidung von Triggern. Manche fürchten, dass eine Entschuldigung alte Wunden aufreißt, und wollen lieber „weitergehen“.
Was Führungskräfte und HR tun können
Wenn Mitarbeitende auf eine Entschuldigung warten, die nicht kommt, besteht das Risiko, dass Konflikte festgefahren bleiben. Führungskräfte und HR können jedoch unterstützend eingreifen:
- Erwartungen früh managen. Machen Sie klar, dass Entschuldigungen möglich sind, aber nicht garantiert. So lassen sich spätere Enttäuschungen vermeiden. Zugleich kann vermittelt werden, dass Entschuldigungen vielen Menschen schwerfallen – das reduziert persönliche Kränkungen.
- Auf Machtaspekte achten. Da Entschuldigungen viel mit Status und Kontrolle zu tun haben, sollten Sie sensibel beobachten, ob die Weigerung, sich zu entschuldigen, Machtungleichgewichte verstärkt. Gegebenenfalls können Sie der betroffenen Person mehr Stimme oder Entscheidungsspielraum geben.
- Bedürfnisse hinterfragen. Bitten Sie die Person, die eine Entschuldigung erwartet, zu erläutern, wie diese aussehen sollte und welche Wirkung sie hätte. Oft geht es eher um Anerkennung, Respekt oder Bestätigung als um die Worte „Es tut mir leid“. Auch die Beweggründe der Person, die keine Entschuldigung geben möchte, können in vertraulichen Gesprächen erkundet werden.
- Intention und Wirkung klären. Missverständnisse entstehen oft, weil Absicht und Wirkung auseinanderfallen. Wenn deutlich wird, dass kein schlechter Wille im Spiel war, kann das Verständnis fördern und den Druck auf eine Entschuldigung mindern.
- Selbstwert stützen. Helfen Sie der Person, die sich nicht entschuldigen will, Wege zu finden, verletzlich zu sein, ohne sich bloßgestellt zu fühlen. Ein sicherer Gesprächsrahmen unterstützt dies.
- Alternative Formen der Anerkennung sichtbar machen. Manche Menschen entschuldigen sich nicht mit Worten, zeigen aber Bedauern durch ihr Verhalten – etwa durch besondere Kooperationsbereitschaft. Machen Sie solche Gesten als Form von Wiedergutmachung sichtbar. Auch weichere Formulierungen („Es war nicht meine Absicht“ oder „Ich bedaure die Auswirkung“) können wirksam sein.
- Reframing nutzen. Wenn jemand sagt: „Ich werde mich nicht entschuldigen“, können Sie das als Wunsch nach Integrität oder Authentizität umdeuten – das nimmt Schärfe aus der Situation.
- Realität prüfen. Fragen Sie: Was könnte die Person verlieren oder gewinnen, wenn sie sich entschuldigt? Und was sind die Optionen der anderen Seite, wenn die Entschuldigung ausbleibt?
- Akzeptanz fördern. Radikale Akzeptanz bedeutet, eine schmerzhafte Realität anzuerkennen, ohne sie gutzuheißen. Auch ohne Entschuldigung können Menschen entscheiden, die Situation zu akzeptieren und ihren eigenen Werten treu zu bleiben. Das kann bedeuten, die Zusammenarbeit fortzuführen, Grenzen neu zu verhandeln oder die Beziehung zu beenden.
- Gegenseitige Entschuldigungen. Manchmal fordern beide Seiten eine Entschuldigung. Das kann zusätzliche Blockaden schaffen, aber auch ein Stück Ausgleich bringen, wenn beide Verantwortung zeigen.
- Look forward. If an apology doesn’t come, you should focus on practical agreements: What changes in behavior, communication, or collusion can rebuild trust –even without an explicit „I’m sorry“?
- Emotionale Anerkennung ermöglichen. Durch aktives Zuhören, Spiegeln und Validieren von Gefühlen können Parteien sich anerkannt fühlen, auch ohne ausdrückliche Entschuldigung. Forschung zeigt, dass es erhebliche psychologische Vorteile haben kann, Wut und Groll auch ohne eine Entschuldigung loszulassen – selbst in Situationen, in denen großer Schaden entstanden ist. Ein solcher Ansatz kann die Resilienz stärken. Das Bewusstsein dafür eröffnet Betroffenen die Möglichkeit, neue Wege zum Abschluss zu finden.
Fazit
Die Weigerung, sich zu entschuldigen, gehört zu den schwierigsten Herausforderungen im Umgang mit Konflikten im Arbeitsalltag. Für die betroffene Person kann es wie eine verweigerte Gerechtigkeit wirken. Für die Person, die keine Entschuldigung geben will, fühlt es sich oft nach Selbstschutz an. Und für Führungskräfte oder HR kann es wie ein unüberwindbares Hindernis erscheinen.
Doch mit einem Verständnis für die psychologischen Hintergründe lässt sich die Situation neu einordnen. Menschen suchen Entschuldigungen, um Anerkennung, Würde und Bestätigung gemeinsamer Werte zu erhalten. Andere verweigern sie, um ihr Selbstbild zu schützen, Macht zu bewahren oder weil sie an der Wirksamkeit zweifeln.
Wenn Entschuldigungen ausbleiben, können dennoch Wege zum Abschluss gefunden werden – durch Akzeptanz, alternative Formen der Anerkennung und konkrete Vereinbarungen für die Zusammenarbeit.
Für Führungskräfte und HR geht es dabei nicht darum, Entschuldigungen zu erzwingen. Entscheidend ist es, die zugrunde liegenden Bedürfnisse zu verstehen und alternative Wege zu finden, diese zu erfüllen. Mit Geduld, Empathie und Klarheit kann selbst das Ausbleiben eines „Es tut mir leid“ zum Ausgangspunkt für neue Lösungen werden.

